Die Traditionell Tibetische Medizin (TTM) ist Teil der asiatischen Heilkunde und ihre Wurzeln reichen etwa 4000 Jahre zurück. Praktiziert wurde die Traditionell Tibetische Medizin lange bevor in Tibet im 7. Jahrhundert der Buddhismus eingeführt wurde. Es besteht eine enge Verwandtschaft dieses Medizinsystems mit der Traditionell Chinesischen Medizin und der Ayurvedischen Medizin.
Die Traditionell Tibetische Medizin, die neben ihrem lokalen Heilwissen insbesondere auf dem Erfahrungsschatz und den fachlichen Kenntnissen von Gelehrten aus dem indischen Ayurveda, der griechisch-persischen Medizin (Unani) und der Traditionell Chinesischen Medizin (TCM) beruht, wird heute auf der Basis ihrer alten Texte nach dem unverändert gültig gebliebenen medizinischen Grundlagenwerk namens Gyüshi praktiziert. Auch die typgerechte Ernährung spielt in der Traditionell Tibetischen Medizin bei der Vorsorge und Therapie eine maßgebliche Rolle.
Das alternative Heilverfahren, das als Sowa Ripga bezeichnet wird und soviel heißt, wie „Das Wissen vom Heilen“, bildet ein in sich eigenständiges diagnostisches, gesundheitserhaltendes und therapeutisches System. In Europa wird es häufiger mit naturheilkundlichen und schulmedizinischen Behandlungen kombiniert. Für Patienten und Klienten ist das tibetische System auch ohne Vorkenntnisse leicht nachvollziehbar und verständlich, was die Umsetzung vereinfacht.
Das Grundlagenwerk Gyüshi prägte der fünfte Dalai Lama mit
Das Grundlagenwerk Gyüshi wurde vom 5. Dalai Lama und dem Regenten Sangye Gyamtso überarbeitet und durch den berühmten Kommentar namens der Blaue Beryll und die 79 Gemälde, die sogenannten Medizin-Thangkas mitgeprägt. Bis heute bilden sie die Ausbildungsgrundlage für die heut weltweit etwa 2000 praktizierenden tibetanischen Ärzte. Die Traditionell Tibetische Medizin breitete sich neben der Mongolei, in Sibirien und Nepal aus und die Kunde ihrer Wirksamkeit drang sogar bis zum russischen Zarenhof vor.
Mit der chinesischen Besetzung im Jahr 1959 ging sowohl die Hochschule wie auch ein Teil des überlieferten praktischen Wissens endgültig verloren.
Der 14. Dalai Lama gründete 1961 im indischen Exil eine neue Klinik, um die alten Traditionen und das Wissen der Tibetischen Medizin weiter zu bewahren.
Heute existieren in Indien mehrere Zentren und Kliniken, in denen man sich rein auf die Tibetische Medizin spezialisiert hat.
Grundlagen der Traditionell Tibetischen Medizin
Es besteht eine Verknüpfung mit buddhistischen Prinzipien. Die Ursache aller Krankheiten liegt nach buddhistischer Auffassung in der geistigen Unwissenheit. Demnach glaubt der Mensch aus Unwissenheit, dass er ein Individuum sei, das getrennt von seiner Umwelt existiert. Diese Annahme führte zu den Begriffen ich und mein, die die drei Geistesgifte Hass, Ignoranz und Gier beeinflussen. Diese Geistesgifte nehmen wiederum Einfluss auf die drei Körperenergien, die mit folgenden Entsprechungen, Funktionen und Eigenschaften verbunden sind.
In der Traditionell Tibetischen Medizin werden drei Körperenergien unterschieden
Diese Körperenergien, die sich in inneren und äußeren Merkmalen zeigen können, beherrschen alle vitalen Funktionen des Körpers und stehen in enger Verbindung zu den fünf Elementen Erde, Wasser, Feuer, Wind und Äther. Übergreifend bestimmen sie bei jedem Menschen nicht nur die körperliche, geistige und seelische Grundkonstitution, sondern wirken sich auch auf den Stoffwechsel aus.
Sie bilden die Basis der tibetischen Konstitutionslehre. Die tibetische Typenlehre bietet den Therapeuten eine schnelle Einschätzung des Patienten und erleichtert die Entscheidung für die geeigneten Maßnahmen zur Behandlung.
Ein großer Vorteil der Lehre besteht auch für westliche Patienten, Klienten oder private Anwender, denn sie können bei Therapien oder Gesundheitsberatungen mit wenigen leicht nachvollziehbaren Informationen um den eigenen Konstitutionstyp ihre Stärken und Anfälligkeiten besser verstehen. Es fällt vielen deshalb auch wesentlich leichter, die Ernährungs- und Verhaltensempfehlungen oder gegebenenfalls spezielle pflanzliche Rezepturen oder Nahrungsergänzungen der tibetischen Konstitutionslehre in ihren Alltag zu integrieren.
Körperenergie Lung/rLung
Entsprechung Wind, das lebenserhaltende, bewegende und bewegliche Prinzip. Lung/rLung wird bestimmt vom Element Luft und ist thermisch, neutral bis kühl.
Es steht in Verbindung mit Gier, Begierde sowie Anhaftung und ist ursächlich für Ausscheidungsprozesse, Blutfluss, Phantasie, Bewegung und geistige Aktivität.
Körperenergie Tripa/mKrispa
Entsprechung Galle, das wärmende, motivierende und körpereigene Substanzen aufbauende Prinzip. Es wird bestimmt vom Element Feuer und seine Natur ist heiß. Galle steht in Verbindung mit den Geistesgiften Zorn, Aggression und Neid. Es regelt die neben der Verdauung und Sehkraft auch die Körpertemperatur und steht für Zielstrebigkeit.
Körperenergie Beken/Bekan/Badgan
Entsprechung Schleim, das stabilisierende, kühlende und Körpersubstanzen abbauende Prinzip, das von kalter Natur ist. Es wird bestimmt von den Elementen Erde und Wasser. Beken ist verantwortlich für alle Bereiche des Körpers, die fest, flüssig und strukturgebend sind. Es steht in Verbindung mit körperlicher und emotionaler Stabilität, mit den Gelenken und dem Schlaf. Es steht aber auch in Verbindung mit Unwissenheit und Verblendung.
Typbestimmung nach der tibetischen Konstitutionslehre
Vorgenommen wird eine Einteilung in drei Grundtypen und sieben Konstitutionstypen. Am Anfang gilt es, den passenden Typen zu ermitteln und zuzuordnen, denn davon sind letztlich alle Empfehlungen für die geeignete Ernährung, für fördernde Maßnahmen und ergänzende Gewürze und Rezepturen abhängig.
Die Typzuordnung richtet sich danach, wie ausgeprägt bei einem Menschen die drei Grundtypen Lung, Tripa und Beken verankert sind. Die Frage ist zunächst, welches der drei Prinzipen den größten Anteil einnimmt. Es gibt auch Mischtypen, bei denen jeweils zwei Prinzipien fast gleich dominant sind oder bei denen alle drei Prinzipien zu etwa zu gleich starken Anteilen vorhanden sind. Neben charakteristischen Eigenschaften liefern auch äußerliche Merkmale Hinweise auf den Grundtyp oder Mischtyp.
Häufige charakteristische und äußerliche Merkmale beim Grundtyp Lung
Beim Grundtyp Lung wird der Charakter mit den Merkmalen intelligent, kreativ, künstlerisch begabt und fantasievoll in Verbindung gebracht. Menschen vom Grundtyp Lung sind dem äußeren Erscheinungsbild nach oft feingliedrig und schlank. Sie besitzen dünne trockene Haut und Haare, sie denken und sprechen schnell und sind teilweise flatterhaft.
Häufige charakteristische und äußerliche Merkmale beim Grundtyp Tripa
Personen des Grundtyps Tripa verfügen über einen Charakter, der als mutig, tatkräftig, durchsetzungsstark und zielorientiert beschrieben wird. Vom äußerlichen Erscheinungsbild her sind sie athletisch, normalgewichtig und haben einen eher rötlichen Hautton.
Häufige charakteristische und äußerliche Merkmale beim Grundtyp Beken
Menschen, die dem Grundtyp entsprechen, haben einen Charakter, der als ausdauernd, strukturiert und bedächtig denkend gilt. Diese Menschen sind praktisch veranlagt. Vom äußeren Erscheinungsbild sind sie kräftig, haben eine volle Figur, weiche Haut und volles und glänzendes Haar.
Therapie und Diagnostik in der Traditionellen Tibetischen Medizin
Die Therapie erfolgt durch Harmonisierung der Körperenergien. Ob ein Mensch gesund oder krank ist, hängt nach der Lehre davon ab, ob sich das komplexe Zusammenspiel der drei Geistesgifte, der drei Körperenergien und der fünf Elemente in einem harmonischen Gleichgewicht befindet. Ein Ungleichgewicht bedeutet Krankheit. Ebenfalls Einfluss auf die Gesundheit nehmen äußere Faktoren wie Ernährung, Lebensstil und klimatische Bedingungen. Die Tibetische Medizin hat das Ziel, die aus dem Gleichgewicht geratenen Körperenergien durch eine abgestimmte Therapie wieder zu harmonisieren und Energieblockaden aufzulösen.
Diagnostik
In der Traditionellen Tibetischen Medizin bildet die Befragung zur Vorgeschichte und des aktuellen Zustands sowie die Ermittlung der Krankheitsauslöser einen Teil der Diagnostik. Hinzu kommen die körperlichen Untersuchungen wie Zungendiagnostik, Urindiagnostik und Tastung der Pulsqualität.
Es kommen je nach Diagnose in der Tibetischen Medizin zahlreiche therapeutische und vorbeugende Behandlungsmethoden zum Einsatz. Darunter Massagen, Räucherungen, Akupunktur, Moxaltherapie und eine ausgeglichene Ernährung. Auch eine Änderung der Geisteshaltung kann angestrebt werden.
Medikamentös finden in der TTM vorwiegend pflanzliche Heilmittel Verwendung. Es kommen aber auch komplexe Medikamente aus Metallen und Mineralien zum Einsatz, darunter pulverisierte Edelsteine und Halbedelsteine. Außerdem können bei der Therapie astrologische Einflüsse eine Rolle spielen.
Traditionell tibetische Medizin in Deutschland
Auch einige westliche Ärzte bieten Tibetische Medizin an. Unter dem Dach der Deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur (DÄGfA) bildet nicht nur das Institut für Ost-West-Medizin westliche Ärzte in Tibetischer Medizin aus, sondern auch das Freiburger Kailash Institut lädt regelmäßig lehrende und praktizierende Ärzte des Tibetan Medical and Astrological Institute aus dem nordindischen Dharamsala ein, um auch in Deutschland Seminare und Vorträge zu halten und Pulsberatungen zu praktizieren.
Die Tibetische Medizin zeigt mit ihrem integrativen Ansatz nach Angaben der DÄGfA gute Erfolge in vielen Fachbereichen. So kommt sie nicht nur bei allergischen und dermatologischen Störungen zur Anwendung, sondern auch bei gynäkologischen und urologischen Störungen. Zudem ergeben sich Erfolge im Bereich von Atemwegsbeschwerden und Verdauungsbeschwerden.
Ernährung in der Traditionell Tibetischen Medizin
Die empfohlene Ernährung ist vom Typ abhängig. Sowohl bei der Gesundheitsvorsorge wie auch bei der Therapie steht eine typgerechte Ernährung im Zentrum der Konstitutionslehre und der Traditionell Tibetischen Medizin.
Weil die Ernährung der Lehre nach sehr großen Einfluss auf die drei Prinzipien Lung, Tripa und Beken nimmt, kann eine langfristige Ernährung mit ungeeigneten Lebensmitteln die persönliche Grundkonstitution aus dem Gleichgewicht bringen und in der Folge Störungen und auch Krankheiten verursachen. Ihr großer Einfluss machte es aber auch möglich, die Ernährung gezielt zu nutzen, um ein Ungleichgewicht auszugleichen oder eine Erkrankung zu behandeln oder begleitend zu einer Behandlung eingesetzt zu werden.
Bei der Ernährung werden den drei Prinzipen jeweils verschiedene Elemente zugeordnet, die wiederum mit drei von insgesamt sechs Geschmacksrichtungen verbunden sind. Die Geschmacksrichtungen sind süß, sauer, bitter, salzig, scharf und adstringierend und fördern das mit ihnen verbundene Prinzip.
Das Prinzip Lung
Dem Prinzip Lung werden das Element Luft und die drei Geschmacksrichtungen adstringierend, bitter und scharf zugeordnet. Empfohlen werden regelmäßige Maßzeiten und die warme Küche. Die geeignete Ernährung besteht aus Kartoffeln, Karotten, gekochten oder gedünstetem Gemüse und Reis, Rindfleisch und Bananen. neben Nüssen und Wein in Maßen werden dem Lung Typ die Gewürze wie Kardamom, Oregano, Muskatnuss und Gewürznelke zugeordnet. Nicht empfohlen werden kalte Speisen, Rohkost, Schokolade, koffeinhaltige Getränke und Bier.
Das Prinzip Tripa
Dem Prinzip Tripa entspricht das Element Feuer sowie die drei Geschmacksrichtungen sauer, scharf und salzig. Lebensmittel mit diesen Geschmacksrichtungen wirken wärmend. Durch den Verzehr wird das Feuerelement und Tripa erhöht. Personen, die dem Tripa-Typ zugeordnet werden, sollten nur in geringen Mengen wärmende Lebensmittel verzehren. Wenn eine Tripa-Störung besteht, sollte man diese Lebensmittel sogar vollständig meiden.
Das Prinzip Beken
Dem Prinzip Beken entsprechen die beiden Elemente Wasser und Erde. Während dem Element Erde die Geschmacksrichtungen süß, sauer und adstringierend zugeordnet werden, entsprechen dem Element Wasser die Richtungen salzig, bitter und süß.
Autor: Katja Schulte Redaktion
Datum: 02/2016 | aktualisiert 20.04.2024
Bildquelle: © Herbert Bieser auf Pixabay.com
Quellen:
Schwarz A.A., Schweppe R. P. Praxisbuch Tibetische Medizin. Ludwig Verlag. 1998
Zashuin, Aleksej, Lörh-Gößling, Anne. Moderne Tibetische Medizin. Knaur Verlag. 2015
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